27
September
2013

Forumtheater: “Warum immer ich?”

Ein Gastbeitrag von Robert Kern, MA,
ISOP Schulsozialarbeiter an der NMS St. Andrä in Graz

Folgender Beitrag soll einen kleinen Einblick in die Welt des Forumtheaters im Kontext Schule und Schulsozialarbeit geben. Zunächst möchte ich die Methode beschreiben, danach auf spezifische Merkmale dieses Projekts im Kontext von Schulsozialarbeit eingehen und zum Schluss einen kleinen Ausblick wagen.

Forumtheater und Theater der Unterdrückten (TdU)

Als Vater des Forumtheaters gilt der Brasilianer Augusto Boal. Das Forumtheater ist vermutlich die bekannteste Methode in Boals Methodenreihe, jedoch nicht die einzige.  All diese von ihm entwickelten Methoden werden unter dem Überbegriff „Theater der Unterdrückten“ (TdU) zusammengefasst.

Das Theater der Unterdrückten entwickelte sich zunächst in Zeiten der Militärdiktatur in Brasilien (1964-1985). Den pädagogischen Hintergrund liefert die Pädagogik der Unterdrückten nach Paulo Freire. Wesentlicher Grundsatz in Boals Methoden ist die Stärkung und Aktivierung aller Beteiligten, auch der ZuschauerInnen eines Forumtheaterstücks. Im Forumtheater bleiben Letzere nämlich nicht nur in der Rolle des passiven Publikums, sondern sie können ihre Gedanken und Ideen in die jeweiligen Szenen und Handlungen einbringen und diese dadurch spielerisch verändern. Dieser Grundsatz soll am Beispiel Forumtheater gezeigt werden.

In einem Forumtheaterstück werden gemeinsam Szenen zu einem sozialen oder politischen Problem entwickelt. Nachdem die ZuschauerInnen die Szene(n) gesehen haben, werden sie gefragt, ob sie mit der Szene so zufrieden sind oder ob sie etwas verändern möchten. Die Szene(n) werden nun noch einmal gespielt und die ZuschauerInnen haben nun die Möglichkeit, „Stopp!“ zu rufen und die Szene sozusagen einfrieren zu lassen. Eine Person aus dem Publikum kann nun in eine der dargestellten Rollen schlüpfen und in die Szene einsteigen. Die Person kann diese Szene durch eine eigene Handlungsidee zwar verändern, die übrigen SchauspielerInnen bleiben jedoch in ihren Rollen (und Verhaltensmustern). Dadurch verspürt die Person aus dem Publikum beim Versuch, die Situation zu verändern, denselben Widerstand wie im realen Leben. In diesem Moment eröffnet sich eine komplett neue Ebene der Reflexion und Erprobung eigenen Handelns und darin liegt m.E. eine große Stärke dieser Methode.

„Warum immer ich?“: Forumtheater an der NMS St. Andrä

Warum immer ich?Im Sommersemester 2013 wurde an der NMS St. Andrä aus den von den Jugendlichen beschriebenen alltäglichen Konfliktsituationen das Forumtheaterstück „Warum immer ich?“ entwickelt. Schulsozialarbeit vernetzte sich dabei mit InterACT, einem sehr kreativen und professionellen Verein für Theater und  Soziokultur in Graz. InterACT verfügt über große Erfahrung mit den Methoden des Theaters der Unterdrückten und setzt sich für eine Kultur des Dialogs, des Empowerments und der Partizipation der Beteiligten ein.

Im Februar dieses Jahres organisierten wir an der NMS St. Andrä einen Theaterworkshop für alle dritten Klassen sowie für die KlassensprecherInnen, in dem die Jugendlichen einen ersten Einblick in die Welt des (Forum)Theaters bekommen sollten. Nach den Workshops konnten sich die interessierten Jugendlichen für die Theatergruppe bewerben. Der Andrang war groß. Es meldeten sich mehr Jugendliche für die Theatergruppe als wir Ressourcen hatten.

Mit der Theatergruppe vereinbarten wir zehn Probeeinheiten, die von Martin Vieregg von InterACT angeleitet wurden. Für die Proben benutzten wir den Medienraum in der NMS St. Andrä. Dieser Prozess, von der Gruppenfindung bis hin zu den Aufführungen des gemeinsam entwickelten Theaterprojektes, wurde zu einer großen Herausforderung für alle Beteiligten. Es war für die Jugendlichen eine vollkommen neue Methode, die von ihnen neben reflektierter Offenheit auch Disziplin verlangte.

Auszeichnung BMUKKSchlussendlich entstand ein tolles Forumtheaterstück, das auch vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur ausgezeichnet wurde. Es gab fünf Aufführungen sowie eine Generalprobe vor Publikum. Die letzte Aufführung fand im Veranstaltungsraum von ISOP vor etwa 70 Personen statt. Es war ein wunderschöner und auch lustiger Abend, an dem ein buntes Spektrum an ZuschauerInnen gemeinsam mit den Jugendlichen die Szenen diskutierte und neue Handlungsmöglichkeiten erprobte.

Für mich als Schulsozialarbeiter war der gesamte Entstehungsprozess dieses Forumtheaterstücks gleichermaßen herausfordernd, beeindruckend, anstrengend und wunderschön.  In vielerlei Hinsicht. Das alles ausführlich zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Insbesondere beeindruckte mich das Potenzial dieser Methode auf der Ebene der Reflexion der beteiligten SchauspielerInnen. Aber auch das Erlernen dieser kreativen Methode ist für den Arbeitsalltag als Schulsozialarbeiter ungemein bereichernd. Nicht zu vergessen die wohltuende Unterstützung, die ich und das gesamte Projekt insbesondere von ISOP genossen, sodass es trotz der geringen Ressourcen so toll umgesetzt werden konnte. Das war schlichtweg wunderschön.

Ausblick

Forumtheater aber auch andere theaterpädagogische Methoden werden in der Schulsozialarbeit österreichweit und international bereits angewendet. Was in Österreich jedoch fehlt, sind Vernetzung sowie Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Coaching – kurz: ein Netzwerk, in dem TdU im Kontext von Schulsozialarbeit wachsen kann. Persönlich träume ich von einer Schulsozialarbeits- TdU-Gruppe, in der sich SchulsozialarbeiterInnen aus allen Bundesländern regelmäßig vernetzen. Eine solche Gruppe soll natürlich auch im regelmäßigen Austausch mit lokalen TdU-Gruppen stehen, um sich  gegenseitig zu unterstützen und um voneinander zu lernen.

Um theaterpädagogische Elemente im Kontext Schule umzusetzen, verfügt Schulsozialarbeit bereits heute über äußerst wichtiges und großes Wissen. Damit zum Bespiel Forumtheater im Kontext Schule nachhaltig umgesetzt werden kann, braucht es schließlich mehr als nur schauspielerische Werkzeuge. Daneben sind vor allem auch eine Beziehung und ein Vertrauensverhältnis zu den Jugendlichen, Koordination und Kommunikation mit Schule, Schulleitung, Eltern und natürlich mit den SchülerInnen selbst nötig. Weiters braucht es m.E. den Raum für niederschwellige psychosoziale Begleitung.

Der Ort Schule bietet einen großen Vorteil, weil dort auch Kinder und Jugendliche mit Theater in Kontakt kommen können, die nicht über das soziale, ökonomische oder kulturelle Kapital verfügen, um die derzeitigen Angebote einer Stadt wahrzunehmen. So wichtig diese Angebote sind, sie sprechen derzeit nur eine bestimmte, zumeist privilegierte Gruppe an und Personen aus sozioökonomisch benachteiligten Familienverhältnissen werden strukturell ausgeschlossen. Punkt.

Selbstverständlich muss im Alltag von Schulsozialarbeit nicht immer gleich ein  komplettes Forumtheaterprojekt umgesetzt werden. Der Aufwand ist hoch und es ist die Unterstützung von vielen Seiten erforderlich. Abseits eines Theaterprojekts können Methoden des Forumtheaters auch in der sozialarbeiterischen Tätigkeit mit Gruppen eingesetzt werden. So verwende ich laufend Übungen und Methoden aus dem Repertoire des Theater der Unterdrückten. Viele dieser Übungen benötigen keine große oder komplexe Vorbereitung, sondern vielmehr den Raum und das Vertrauen, in die Welt des Theaters einzutauchen und das Theater als Proberaum für das Leben wahrzunehmen. Schulsozialarbeit sollte sich über das eigene Potenzial bewusst werden und selbstbewusst in die Welt des Theaters eintauchen.

“I think that everyone can do theatre – even actors.
And theatre can be done everywhere, even inside
theatres.“ (Augusto Boal)

 

Links

Infovideo zum Forumtheater „Warum immer ich?“:
http://www.youtube.com/watch?v=y0qEAlKgUAw

Fotos einer Schulaufführung von „Warum immer ich?“:
http://www.interact-online.org/Aktuell/transition-st-andrae-fotos.html

 

Empfohlene Literatur

Boal, Augusto (1989): Theater der Unterdrückten. Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler. Frankfurt: Suhrkamp Verlag.

Weirather, Carina (2008): Forumtheater zur Gewaltprävention. Evaluation des Forumtheaters der Wilden Bühne e.V., Saarbrücken: VDM Verlag.

Fritz, Birgit (2011): InExActArt. Ein Handbuch zur Praxis des Theaters der Unterdrückten. Stuttgart: ibidem-Verlag.

 

Fortbildung

Sehr zu empfehlender Lehrgang in Wien – Theater nach Augusto Boal:
http://www.vhs.at/1959.html

 

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