Gastbeitrag von Martina Panse
Die Leistungsbeurteilung vereint in sich die Funktion der Beschreibung und der Bewertung. Während erstere lernfördernd wirkt, indem der individuelle Stand der Leistung und Verbesserungsmöglichkeiten dargelegt werden, dient die Bewertung der Selektion und Disziplinierung. Da Schulnoten die zweite Komponente betonen, ist dies oft der Anstoß der Debatte. Denn sie können ihre Aufgabe aufgrund mangelnder Aussagekraft, Vergleichbarkeit und Objektivität nicht angemessen erfüllen.
BefürworterInnen der traditionellen Notenvergabe würden dem natürlich widersprechen. Sie verteidigen das Ziffernsystem auch häufig mit dem Argument, dass sowohl LehrerInnen, Eltern als auch SchülerInnen es schätzen, da sie dadurch wissen wo sie stehen. Doch ist dem wirklich so?
Bei der Notenfindung werden in erster Linie SchülerInnen einer Klasse miteinander verglichen. Wie verändert sich die Beurteilung eines/einer Einzelnen, wenn sich die Klassenzusammenstellung und somit das Leistungsniveau verschiebt? Und wie objektiv kann, trotz diesbezüglicher Bemühungen, das Urteil einer einzelnen Person ausfallen? Hans Brügelmann musste in seiner umfassenden Studie feststellen, dass leider auch Merkmale wie soziale und ethnische Herkunft, Verhaltensauffälligkeiten und Sympathien in die Noten miteinfließen. Ein weiteres Ergebnis der Expertise war, dass ein und dieselbe Leistung von LehrerInnen unterschiedlich bewertet wurde. Abweichende Maßstäbe finden sich sogar im Fach Mathematik, dem/ der einen ist der Lösungsweg wichtig, dem/der anderen nur das richtige Ergebnis.
Neben der mangelnden Objektivität weist die klassische Schulnote ein weiteres Manko auf, sie ist informationsarm. Eine 3 in Deutsch bietet keinerlei Einsicht, ob der/ die SchülerIn sich verbessert hat, wieviel er/sie dazugelernt hat. Ob er/sie wenig Fehler in der Rechtschreibung macht, dafür aber mit dem sinnerfassenden Lesen seine/ihre Probleme hat. Ob seine/ihre Qualitäten im Freien Schreiben liegen, oder er/sie beim Diktat punkten kann.
Eine weitere Nebenwirkung des derzeitigen Notensystems ist der Umstand, dass oft nicht mehr aus Interesse, Neugier und der Sache wegen gelernt wird, sondern nur für die Note. Das kurzfriste Auswendiglernen vor Prüfungen ist oft die Folge. Wie hoch der nachhaltige Lerneffekt dieser Methode ist, kann jede/r für sich selbst beurteilen. Motivation, Freude und v.a. die Fähigkeit sich Wissen selbst anzueignen geht verloren.
Ein grundlegendes Problem ergibt sich bereits bei der Einschulung. Die Kinder befinden sich teilweise auf unterschiedlichen Erfahrungs- und Kompetenzlevels. Die Differenz kann dabei bis zu vier Entwicklungsjahre aufweisen und diese Kluft verringert sich während der Schulzeit meistens auch nicht, denn alle Kinder lernen dazu. Brügelmann nennt dieses Phänomen „Karawaneneffekt“. Das demotivierende Hinterherhinken zieht sich somit oft durch die gesamte Schullaufbahn. Anstrengungen werden häufig nicht gewürdigt, denn im Vergleich bleibt der/die SchülerIn schlecht und das schlägt sich in der Note wieder. Leistung fairer zu beurteilen, hieße den individuellen Status quo eines Kindes, dessen Möglichkeiten zu erkennen und den Zuwachs an Können und Wissen hervorzuheben.
Diese differenzierte Beschreibung von Leistung setzt die positive Entwicklung jedes/ jeder Einzelnen in den Fokus und erhöht die Motivation und den Selbstwert der Kinder. Noten erzeugen dagegen Druck, sie schüren Ängste und treiben einen Keil zwischen alle Beteiligten (SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen) anstatt die essentiell notwendige Kommunikation, Anteilnahme und Kooperation untereinander zu fördern.
Es wird auch oft argumentiert, die Noten seien wichtig, um die Kinder auf die Leistungsgesellschaft vorzubereiten. Doch wir leisten im täglichen Leben sehr viel, ohne ständig dafür beurteilt zu werden. Lernen wir nun also für die Schule, oder für das Leben?
Quellen:
Hans Brügelmann u.a.. Sind Noten nützlich – und nötig? Ziffernzensuren und ihre Alternativen im empirischen Vergleich. Eine wissenschaftliche Expertise des Grundschulverbandes. Kurzfassung.
http://www.grundschulverband.de/fileadmin/bilder/Publikationen/Mitgliederbaende/NEU_KURZ_Expertise_.pdf vom 17.02.2014
Jörg Lau. Kinder wollen Noten. ZEIT ONLINE.
http://www.zeit.de/2006/27/Titel-Schulnoten-27 vom 17.02.2014
Hans Brügelmann. Misstraut allen Noten! ZEIT ONLINE.
http://www.zeit.de/2006/29/Noten-29 vom 17.02.2014
Rupert Vierlinger. Plädoyer für die Abschaffung der Ziffernnoten.
http://paedpsych.jku.at/internet/ORGANISATIONORD/VIERLINGERORD/VierlingerAbschaffung.html vom 17.02.2014
Weiterführende Literatur:
Die ideale Schule: Schule ohne Noten – funktioniert das? GEO WISSEN Nr. 44 – 11/09
Hans Brügelmann u.a.. Sind Noten nützlich – und nötig? Ziffernzensuren und ihre Alternativen im empirischen Vergleich. Eine wissenschaftliche Expertise des Grundschulverbandes.
http://www.grundschulverband.de/veroeffentlichungen/wissenschaftliche-expertisen/ vom 17.02.2014
Werner Specht (Hrsg.) (2009) Nationaler Bildungsbericht Österreich 2009, Band 2: Fokussierte Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen, Graz, Leykam.
https://www.bifie.at/buch/1024 vom 17.2.2014
Sabine Czerny (2012) Was wir unseren Kindern in der Schule antun: … und wie wir das ändern können. Heyne Verlag