8
Januar
2013

Systemüberlastung (Gastbeitrag)

Ich freue mich sehr darüber, heute den ersten Gastbeitrag auf diesem Blog präsentieren zu dürfen. Es ist meine Hoffnung, dass in Zukunft auch andere Interessierte und Gleichgesinnte ihre Erfahrungen und Gedanken mit uns teilen werden.

Systemüberlastung

Unser Leben ist komplex, komplexer denn je. Immer öfter ahnen wir bestenfalls, wie das, was rund um uns geschieht, miteinander zusammenhängt. Das macht vielen von uns Angst, ob es uns bewusst ist oder nicht. Wie können wir unseren Kindern erklären, was wir selbst nicht begreifen? Wie können wir unseren Kindern ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, das wir selbst kaum noch kennen? – Wir sind überfordert. Die Schule muss einspringen.

Die Anforderungen der Gesellschaft an uns bringen uns zunehmend an unsere Grenzen. Brotberuf, Konsum, Freizeitspaß, soziale Kontakte, Erholung, Weiterbildung, Familie,… Wo bleibt die Zeit für die Familie, wenn sie mit so vielen anderen Dingen konkurrieren muss? Wo bleibt die Chance, zumindest die eigenen Kinder in ein selbstbewusstes und doch nicht zu selbstbezogenes Leben zu begleiten? – Wir sind überfordert. Die Schule muss einspringen.

Ist es wirklich so einfach? Können unsere Schulen überhaupt leisten, was von ihnen erwartet wird? Wohl kaum.

Das österreichische Schulorganisationsgesetz vom 25. Juli 1962 weist den Schulen in seinem § 2 sehr weitreichende Aufgaben zu. Im Mittelpunkt stehen das „für das Leben und den künftigen Beruf erforderliche[n] Wissen und Können“ und die Erziehung „zum selbsttätigen Bildungserwerb“. An der sozialen und ethischen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sollen die Schulen lediglich mitwirken. Offenbar setzt das Gesetz voraus, dass die Kinder den Großteil ihrer sozialen Fertigkeiten anderswo erlernen. Heute ist das zum Teil nicht mehr der Fall. Wenn die Eltern ihren Kindern die Regeln für ein gedeihliches Zusammenleben in der Gesellschaft aber nicht (mehr) vermitteln (können), dann müssen die professionellen PädagogInnen in der Schule einspringen, ob sie wollen oder nicht, ob sie die persönlichen Voraussetzungen dazu haben oder nicht.

Trotz allem bleiben die PädagogInnen in erster Linie LehrerInnen, die unterrichten, prüfen und benoten. Einzelnen SchülerInnen können die engagierten unter ihnen – von denen es bestimmt viele gibt – dabei helfen, gewisse Defizite im sozialen Verhalten auszugleichen, ohne dafür den eigentlichen Unterricht allzu sehr zu vernachlässigen. Vorausgesetzt die Eltern ziehen mit. Haben zu viele SchülerInnen einer Klasse Aufholbedarf bei ihren sozialen Kompetenzen, bleiben meistens sowohl die Kinder – und zwar alle – als auch der Unterricht auf der Strecke. Das Ergebnis: Die LehrerInnen sind frustriert, die Eltern enttäuscht, die Gesellschaft verärgert… und die Kinder? Sie müssen sich weiter allein durchschlagen mit ihrer Verwirrung, ihren Ängsten und Aggressionen, eigene Wege finden, mit ihren Schwierigkeiten fertig zu werden, und hoffentlich (!) sozial verträgliche.

Schulsozialarbeit könnte die Situation für alle verbessern, den SchülerInnen helfen, die LehrerInnen entlasten und den Eltern zur Seite stehen. Aufgrund ihrer (nicht primär pädagogisch ausgerichteten) Ausbildung können SchulsozialarbeiterInnen viel Positives zur sozialen Entwicklung aller Kinder und damit zum Lernklima beitragen. Je früher sie in die Schullaufbahn der Kinder einbezogen werden, desto leichter ist es, den Kindern positive Impulse für ihr ganzes Leben mitzugeben. In anderen Staaten gehören Schulsozial-arbeiterInnen, die für die Kinder da sind und sie bei Bedarf unterstützen, seit langem zum Schulalltag. In Österreich gibt es sie nur an einzelnen Schulen, eingestellt über zeitlich befristete Projekte privater Träger wie etwa ISOP, Caritas und Avalon in der Steiermark. Eine flächendeckende und gesetzliche Einführung von Schulsozialarbeit in Österreich scheint hingegen immer noch in weiter Ferne zu sein. Wirklich schade.

Edith Walter
Juristin, Schriftstellerin und kritische Beobachterin

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