24
April
2019

Kinder brauchen Achtsamkeit

Im Jahr 2017 wurde in Deutschland eine Studie zum Thema „Achtsamkeit“ durchgeführt. Der Titel der Studienergebnispräsentation lautete: „Meine Eltern interessiert das nicht“: Jedes dritte Kind in Deutschland fühlt sich unbeachtet.“ Derzeit gibt es keine vergleichbaren Studien für Österreich, dennoch ist anzunehmen, dass sich viele der Kinder und Jugendlichen in Österreich ähnlich fühlen.

Die Studie zeigt auf, dass mangelnde Achtsamkeit gravierende Folgen für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen hat. Zudem weisen unbeachtete Kinder und Jugendliche Defizite in ihrer Lebenszufriedenheit, Empathiefähigkeit und in ihrem Selbstwert und -vertrauen auf.

Bevor weiter auf die Ergebnisse und Forderungen der Studie eingegangen werden kann, sollte der Begriff Achtsamkeit in Bezug auf das System Familie erläutert werden.

Achtsamkeit meint im Zusammenhang mit der Familie eine „Liebes-Sorge-Beziehung“ („Love-Care-Relationship“). Diese soll Neugier und Interesse am Kind, Akzeptanz zum und für das Kind und Bewusstsein im Sinne der kindlichen Entwicklungen und deren Herausforderungen beinhalten. „Sorge“ meint das Besorgt-Sein und gleichermaßen das Sich-Kümmern um das Kind, wobei Bedingungslosigkeit in allem als Voraussetzung gilt und gegeben sein soll. Die Studie benennt dieses Verhalten als ein „originäres Gut“, was primär im Familiensystem herzustellen ist.

Weiterführend beruht Achtsamkeit auf emotionaler Bedürfnisbefriedigung, Unterstützung im Alltag, Sicherheit in der Elternrolle, Interesse am Wohlergehen und materielle Bedürfnisbefriedigung und soll den Kindern und Jugendlichen Geborgenheit, Vertrauen, Empathie, Mut, Selbstbewusstsein und Lebenszufriedenheit geben. Die Studie hebt hervor, dass Achtsamkeit auch unter ungünstigen Bedingungen möglich ist, denn Bewusstsein, Neugier und Akzeptanz sind keine Frage der Familienstruktur.

Folglich werden ein paar Ergebnisse beispielhaft skizziert:

  • Jede zehnte Familie kann das Gut der Liebe-Sorge-Beziehung für ihre Kinder nicht herstellen, wodurch die Kinder zu wenig oder gar keine Achtsamkeit erfahren.

  • Jedes dritte Kind erfährt zu wenig oder keine Achtsamkeit.

  • Jedes dritte Kind und jeder fünfte Jugendliche fühlt sich nicht beachtet – das sind 1,9 Mio. Kinder und Jugendliche in Deutschland.

Die im nächsten Schritt angeführten Studienergebnisse verdeutlichen, dass Achtsamkeit nicht im direkten Zusammenhang mit dem sozialen Status steht.

  • Kinder aus einer niedrigen sozialen Schicht:
    9% fühlen sich beachtet, während 28% sich nicht beachtet fühlen.

  • Kinder aus einer mittleren sozialen Schicht:
    35% fühlen sich beachtet, während 39% sich nicht beachtet fühlen.

  • Kinder aus einer hohen sozialen Schicht:
    36% fühlen sich beachtet, während 32% sich nicht beachtet fühlen.

Hiermit untermauert die Studie, dass Achtsamkeit keine Frage des sozialen Status oder der ökonomischen Situation der Familie ist. Dazu nennt sie folgendes Beispiel:

Gemeinsam die Wohnung putzen und dabei gemeinsam Radio hören und Lieder singen ist achtsamer als ein gemeinsamer Zoobesuch, wo die Eltern die ganze Zeit aufs Handy schauen.

Kinder müssen lernen, dass für eine proaktive Selbstbestimmung und adäquate Entwicklung, Empathie und Mitgefühl essenziell sind. Nur durch diese erzeugen Kontakte und Beziehungen zu anderen Menschen positive Gefühle und kann Vertrauen wachsen.

  • 69% der Kinder vertrauen ihren Eltern Ängste und Sorge nicht an,
    bei den Jugendlichen sind es 94%.

Die Studie schlussfolgert, dass „die Gesellschaft nicht mehr mitfühlt. Die Vermittlung von Solidaritätswerten nimmt ab – auch in der Erziehung“.

Wenn Eltern die Ängste ihrer Kinder nicht wahrnehmen oder als unwichtig abtun, lernen Kinder, dass ihre Gefühle nicht wichtig sind. Sie lernen zu schweigen. Dies bezieht sich allerdings auf das verbale Schweigen, denn ihr Verhalten und ihre Handlungsstrategien nach außen schweigen keineswegs – sie werden zu „auffälligen“ Kindern und Jugendlichen.

Eigene emotionale Bedürfnisse wahrzunehmen, sie zu erkennen und zu befriedigen, ist wichtig für die seelische und körperliche Entwicklung des Menschen. Eltern übernehmen das zunächst für die Kinder, indem sie auf die wahrgenommenen Bedürfnisse achtsam und regulierend einwirken. So können Kinder schrittweise ihre eigene emotionale Landkarte kennenlernen und auch Achtsamkeit für sich selbst entwickeln.

Es wird daher mehr Dialog, statt Monolog in der Erziehung gefordert.

 

Quelle Achtsamkeitsstudie:

Ziegler, H. & Saalfrank, K. & Siggelkow, B. (2017): Achtsamkeit in Deutschland: Kommen unsere Kinder zu kurz?. Universität Bielefeld.

Presse-Information (2017): „Meine Eltern interessiert das nicht“: Jedes dritte Kind in Deutschland fühlt sich unbeachtet. Presse Beyer.

 

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